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Ein spezielles Phänomen, das beim Abruf von Gedächtnisinhalten auftritt.

Die Seite gibt einen Überblick über theoretische Erklärungsansätze, Vorgehen bei der Erforschung und Bezüge zum Lernen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Zungenspitzenph%C3%A4nomen

"Es liegt mir auf der Zunge..."

Was ist das Tip-of-the-Tongue-Phänomen?

(Im Folgenden wird anstelle des Ausdrucks "Tip-of-the-Tongue" die Abkürzung TOT verwendet.)

Es handelt sich dabei um einen speziellen Bewusstseinszustand, den William James schon 1893 sehr lebendig beschrieb: "The state of our consciousness is peculiar. There is a gap therein; but no mere gap. It is a gap that is intensely active. A sort of wraith of the name is in it, beckoning us in a given direction, making us at moments tingle with the sense of our closeness and then letting us sink back without the longed-for term. … “ Typisch ist , dass Personen in dem Status ein Zielwort nicht abrufen können, häufig aber Bestandteile wie Anfangsbuchstabe, Wortlänge, Silbenzahl, Wortbedeutung oder semantisch ähnliche Wörter zugänglich sind.

Wieso ist der TOT-state so interessant?

Dafür gibt es einige Gründe:

  1. Es handelt sich um ein universelles Phänomen, das laut einer Umfrage von Schwartz (1999) in 45 von 51 untersuchten Ländern vorkommt und mit einer ähnlichen Metapher beschrieben wird. Es tritt bei Kindern wie bei jüngeren und älteren Erwachsenen auf.
  2. Er ist alltagsrelevant. Je nach Lebenssituation (Alter, häufige Abfrage-Kontexte) tritt ein TOT-state durchschnittlich ein Mal pro Woche bis ein Mal am Tag auf.
  3. Der TOT-state ist verhaltenswirksam. Aufgrund des damit einhergehenden als emotional quälenden Erlebens wird ein TOT-state sehr bewusst wahrgenommen und löst ein Streben nach Auflösung des Zustands aus.
  4. TOTs lassen sich gut generieren und damit experimentell untersuchen.
  5. ...

Wie wird ein TOT-state theoretisch erklärt?

Bei der Forschung zu TOTs werden die Schwerpunkte unterschiedlich gesetzt. Es lassen sich zwei Ebenen der Betrachtung unterscheiden.

Die direct-access-Sichtweise

Hier liegt der Fokus auf dem Gedächtnisprozess an sich. Ein TOT-state wird als Zeichen für einen verhinderten Abruf betrachtet. Dazu existieren zahlreiche hypothetische Ansätze. Ein aktuelles Modell von Gollan und Brown (2006) nimmt an, dass der TOT-state das Ergebnis eines unvollständigen Abrufs ist. So können Wortbedeutung und vereinzelte semantische Informationen abgerufen werden, es fehlen jedoch Informationen, die eine Zusammensetzung zum Zielwort ermöglichen würden. Die phonetische Information kann nicht abgerufen werden, es kommt zum TOT-state.

Die Metakognitive Betrachtungsebene (Metakognitionen : Gedanken über das eigene Denken)

Hier liegt der Fokus weniger auf dem Prozess an sich, sondern auf der Funktion eines TOT-Erlebnis im Alltag. Ein TOT-state wird nicht als "Fehlermeldung" interpretiert, sondern als Signal dafür, dass eine gewisse Menge an Informationen über ein Zielwort verfügbar ist, die einen erfolgreiche Abruf unter weiterer Anstrengung möglich macht. Damit geht mit einem TOT-Erlebnis ein motivationaler Prozess einher.

Exkurs: In welchem Zusammenhang stehen TOTs mit dem Lernen?

Hier kommt das eben erwähnte Motivationspotential ins Spiel. Aktuelle Forschung schlägt die folgende Interpretation vor: Ein TOT-state könnte als eine Art "Marker" funktionieren, der optimal erlernbare, jedoch noch nicht volständig gefestigte Gedächtnisinhalte kennzeichnet. Die Hypothese steht in Einklang mit Erkenntnissen aus der Lerntheorie, die besagen, dass Informationen am leichtesten gelernt werden, die weder mühelos abrufbar noch vollkommen neu sind. Diese Markerfunktion könnte evolutionär adaptiv sein und so den "Sinn" eines TOT-state erklären. Eindeutige empirische Belege gibt es hierzu allerdings nicht.

Wie wird das TOT-Phänomen erforscht?

Allgemein kann ein TOT-state sowohl naturalistisch (rückblickend oder in Form von Tagebucheinträgen), als auch experimentell erforscht werden. In beiden Fällen sind einige Punkte zu beachten. Es hat sich als wichtig herausgestellt, einen TOT-state genau zu definieren und abzugrenzen gegenüber dem Nicht-Wissen, dem definitiven Wissen und einem sogenannten "Feeling-of-knowing", charakterisiert dadurch, dass eine Person erwartet, das Zielwort wiederzuerkennen (recognition) , es aber nicht selber produzieren kann (kein recall). Erhoben wird im Falle eines TOTs in der Regel, welche semantischen Einzelinformationen zugänglich sind (Anfangsbuchstabe, Worlänge, Wortbedeutung,...) und ob der TOT-state am Ende aufgelöst werden konnte oder nicht. (neben den interessierenden AVs)

Beim experimentellen Vorgehen werden TOTs in den meisten Fällen hervorgerufen, in dem den Studienteilnehmenden komplizierte Definitionen vorgelegt und das definierte Wort erfragt wird. Auf diese Art und Weise lassen sich TOTs zuverlässig generieren. Alternativ wurden z.B. Bilder von berühmten Personen gezeigt und deren Name erfragt.

[Sämtliche auf dieser Themenseite präsentierten Informationen entstammen den im Folgenden angegebenen Quellen. ] Quellen

  • Schwartz, B. L., & Metcalfe, J. (2011). Tip-of-the-tongue (TOT) states: retrieval, behavior, and experience. Memory & Cognition, 39(5), 737–749.
  • Burke, D. M., MacKay, D. G., Worthley, J. S., & Wade, E. (1991). On the tip of the tongue: What causes word finding failures in young and older adults? Journal of Memory and Language, 30(5), 542–579.
  • Metcalfe, J., Schwartz, B. L., & Bloom, P. A. (2017). The tip-of-the-tongue state and curiosity. Cognitive Research, 2(1), 31.
  • Brown, A. S. (1991). A review of the tip-of-the-tongue experience. Psychological Bulletin, 109(2), 204-223
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